Samstag, 9. November 2019

Nadelphobie + Blutphobie

Ich lese gerade ein Buch und eine Passage dort, brachte mich auf die Idee, dass ich das unbedingt teilen muss :)
Kleiner Spoiler! Ich kann mich heute pieksen lassen und teilweise auch Blut sehen! Wie es dazu kam, davon schreibe ich nun.



Von klein auf habe ich eine Nadelphobie. Nein, keine einfache Angst, eine wirkliche Phobie. Nein, einfach nicht hinsehen bringt mir nichts, ich habe dennoch totale Panik.
Selbst Ärzte haben oft Probleme das einzusehen und nehmen mich nicht ernst.

Mit etwa sechs Jahren wurde ich das erste mal ohnmächtig, weil ich mich bei der Modelleisenbahn meiner Schwester in den Finger stach und ein wenig blutete.
Meine Mutter wollte auf Nummer sicher gehen und ließ mich im Krankenhaus durchchecken, aber es war alles in Ordnung und ab da war es normal, wenn jemand blutete, auch ich selber, wurde ich ohnmächtig.

Übrigens ging es meiner Mutter bereits so und meiner einen Tochter auch, die andere kann Blut sehen und Nadeln sind ihr egal! Die eine allerdings wird ohnmächtig.

Ich ließ mir ab einem gewissen Alter kein Blut abnehmen, keine Spritze geben, nichts! Konnte kommen was wolle!

Auch in den Schwangerschaften, bis auf einmal, ließ ich mir kein Blut abnehmen und hielt es eisern durch, weil die Angst zu groß war.

Irgendwann suchte ich nach einer Lösung, denn so geht es nicht weiter, dachte ich mir und suchte eine Therapeutin. Lustig waren die Reaktionen, wenn man bei einer anrief und sagte, man habe eine Nadelphobie und möchte sich behandeln lassen. Nicht selten wurde gelacht und ich wurde auch da nicht ernst genommen, aber eine fand ich dennoch und ich mochte sie :)

Eine liebe Frau, die sich zufällig nur in orange und lila Tönen kleidete.

Sie erklärte mir, ich habe nicht nur eine Nadelphobie, sondern auch eine Blutphobie. Davor sagte ich immer, ich kann kein Blut sehen und wußte nicht, dass es eine Blutphobie war.

Auch erfuhr ich endlich, warum ich ohnmächtig wurde!

Alle Adern ziehen sich bei dem Streß und der Angst zusammen und dann öffnen sie sich schlagartig komplett und das gesamte Blut fließt in die Füße, im Hirn ist keines mehr und schon liegt man da.

Sie brachte mir bei, durch rhythmisches anspannen und entspannen der Muskulatur, kann man einen künstlichen Kreislauf erschaffen und man wird eben nicht mehr ohnmächtig!

Das ist extrem wichtig! Damit ist schon sehr vieles gewonnen! Es hilft wirklich! Man muss es üben und wenn es dann soweit ist, setzt man es ein und es funktioniert und rettete mich offen gesagt sehr oft.

Wir verstanden uns super und immer wieder konnte ich mich vor den Akupunktur Nadeln drücken. Ein Therapieschritt war es, eine Akupunktur Nadel in die Hand gestochen zu bekommen. Die ist ja meeega dünn und tut sicher nicht weh, aber ohne mich!

Ein anderes mal gingen wir zu einer Dialyse Praxis und ich durfte, nach Absprache mit den Patienten, zusehen, wie sie Blut abgenommen bekamen und mit ihnen reden und Fragen stellen. Ob es weh tut, wie es sich anfühlt. Dabei machte ich meine Übung und versuchte ruhig zu bleiben und es klappte erstaunlich gut :)

Als ich dann jedoch nicht mehr um die Akupunktur Nadel herum kam, vertröstete ich sie auf das nächste Mal und ging nicht mehr hin.
Ja, ich schämte mich sehr dafür, aber ich konnte nicht anders.


Dann vergingen ein paar Jahre und ich bekam durch den Geburtstagskuchen meiner Tochter Salmonellen. Meinen Kindern predigte ich immer, sie sollen nicht den rohen Teig essen, ich aber leckte einmal ab und... toll oder?

Dann ging ich zu meiner Hausärztin, die überwies mich an eine Proktologin (Arschärztin) und als sie hörte, meine Mutter hatte vererblichen Darmkrebs, schrillten natürlich alle ihre Alarmglocken und ich erklärte ihr lang und breit, nein ich gehe nicht zur Darmspiegelung, da bekommt man ja einen Zugang gelegt!
Erst musste ich nur eine Stuhlprobe abgeben, die erwies dass ich Salmonellen hatte und man muss das dem Gesundheitsamt melden und sich dann nach, ich glaube, sechs Wochen nochmal testen lassen, wenn die Medikamente alles beseitigt haben.

Bei meinem zweiten Termin hatte ich keine Salmonellen mehr, aber die Ärztin war nicht untätig gewesen und hatte mit dem Krankenhaus über meinen Fall gesprochen und sie wissen von meiner Phobie, aber es sei so so wichtig, denn Salmonellen bekommt man als gesunde, junge Frau eher nicht in dem Ausmaße usw.

Ich hatte damals selber eine riesige Angst bekommen, denn vor der Untersuchung, mit dem Durchfall und Blut im Stuhl, da hatte ich selber schon gedacht, ich hätte vielleicht Krebs und so ging ich dann eine Woche später oder so, ins Krankenhaus. Das war im Oktober 2010.

Ich kam morgens hin, auf die Station und mich sprach direkt eine ältere Krankenschwester an. Schwester D. wohnte, weil ich selber direkt neben dem Krankenhaus wohnte, nur ein Haus weiter und kannte mich vom Sehen her und meine Kinder.

Sie hakte mich unter und zog mich über den Flur in mein Zimmer und erklärte dabei ohne Punkt und ohne Komma, wie man das Abführmittel einnehmen muss und ehe ich es mich versah, saß ich auf meinem Krankenhausbett, mit der berühmten Kanne und dem Glas auf meinem Schränkchen und war sehr erleichtert, denn sie ließ mir keine Wahl.

Kurze Zeit später ging Schwester D. in Rente und x Jahre später sprachen die Schwesterschülerinnen noch von ihr und ich musste immer grinsen und sagen: "Ich fand sie ganz toll als Krankenschwester!" und bis ich im Sommer umzog sah ich sie regelmäßig und ich war jedes mal noch dankbar für diesen einen Moment, in dem sie mir keine Wahl, keine Zeit für Gedanken ließ und mich ins Zimmer zerrte.

Dort saß ich, total verstört, totale Panik vor der kommenden Nadel, vor allem anderen und vor dem Krankenhaus als solches, was mich nur an das lange Leiden meiner sterbenden Mutter und den Verlust erinnerte und mir Angst machte, weil mein Vater immer sagte, man kommt kränker raus, als man rein ging.

Ich nahm artig mein Abführmittel und die Nadel kam und ja, sie war schrecklich trotz Beruhigungsmittel und allem, aber ich hatte das Abführmittel runter gewürgt, ich hatte diese riesige Angst vor dem Krebs im Kopf und meine Kinder im Kindergartenalter, da konnte ich das eine mal wirklich nicht anders und das war mein großes Glück!

Über die Nadel wurde mir Blut abgenommen und sie blieb drin für die Untersuchungen und für das Blut für den Gen-Test, denn als ich die Darmspiegelung hatte, wurde ich etwas zu früh wach, konnte den Monitor sehen und die vielen Polypen. Ich sah keine normale Schleimhaut, ich sah nur Polypen und wurde regelrecht hysterisch und bekam dann nochmal eine Dosis und schlief wieder ein.

Ein Gen-Test wird auch dann gemacht, wenn man weiss das es in der Familie Darmkrebs gibt usw.

Ich hatte einige OPs, ich hatte viele Krankenhausaufenthalte, ich hatte viele Blutabnahmen, so viele, dass meine Armbeuge eine Kraterlandschaft ist.

Nur am Rande. Ich musste den Gen-Test abwarten, was sechs Wochen dauerte, dann hatte ich direkt die Kolektomie, also bekam meinen Dickdarm entfernt und dabei entdeckte man, dass sich ein Adenom schon am Verändern war und wäre ich nur eine oder zwei Wochen später dran gewesen, hätte ich Krebs gehabt, mit dem gesamten Rattenschwanz, um den ich so gerade noch herum kam :)


Irgendwann entdeckte ich Emla Pflaster!
Das sind Pflaster mit Salbe darauf die betäubt. Eigentlich für Kinder, aber egal!

Damit kam ich gut klar!
Wieder ein riesen Glück, denn dadurch lernte ich mit meiner Phobie umzugehen :)
Ich klatschte mir etwa eine Stunde vorher das Pflaster auf die Stelle, wo gepiekst werden sollte und ich hatte noch immer Panik und konnte nicht schlafen für mind. eine Woche vorher, aber es ging, ich konnte so mit Tränen und viel gutem Zureden Blutabnehmen und Zugänge legen lassen.

Es funktionierte so gut, dass ich mich irgendwann traute, wenn ich nur Blut abgenommen bekam, es mal ohne zu versuchen und war meistens richtig stolz, weil es funktionierte und ich hatte dann nicht mehr eine Woche lang schlaflose Nächte, sondern nur noch eine und später nur noch eine unruhige Nacht mit weniger Schlaf :)

Im Krankenhaus hatten sie auf meinen üblichen Stationen immer einen Stapel Emla Pflaster liegen :)

Einmal ging eine Naht auf und ich drohte zu verbluten und ich heulte und litt höllisch, weil keine Zeit für das Pflaster blieb und ich so gepiekst werden musste und ich war so außer mir, dass sogar die Ärztin weinte und immer wieder beteuerte, wie ungerne sie es macht, aber wie wichtig es ist, denn ich stammelte weiter: "Ich habe aber doch einen Zugang, einer muss doch reichen!" und sie hielt dagegen: "Wenn es schnell gehen muss, ist einer zu wenig."
Aber auch das hielt ich durch, zwar nicht tapfer, aber ich schaffte es irgendwie.

Es wurde besser, immer ein wenig besser.

Leider hatte ich dann auch akute Erkrankungen und musste in die Notaufnahme und ohne Emla einen Zugang legen lassen und mal lief es fast schmerzfrei, mal tat es höllisch weh, aber ich lernte, es geht auch ohne, es sind nur Schmerzen, Himmel es sind nur Schmerzen und da hatte ich schon sehr viel schlimmeres erlitten!

Durch meine Übung von der Therapeutin wurde ich auch nicht mehr ohnmächtig und hatte immer mehr das Gefühl Kontrolle über die Situation zu bekommen.

Ich sagte vorher, dass ich eine Nadelphobie habe und kein Blut sehen kann. Sehr oft wird man dann nicht ernst genommen und bekommt zu hören, man soll halt weg sehen und die Panik wird nicht erwähnt. Dann erklärte ich, dass ich früher immer ohnmächtig wurde, aber eine Übung beherrsche um es zu vermeiden, dennoch möchte ich bitte liegen. Ein kalter Waschlappen auf der Stirn hilft auch ein wenig, aber das nur am Rande. Danach muss ich immer noch ein wenig liegen bleiben und gut ist :)

Mir ist es egal, ob andere meine Angst nicht ernst nehmen, man darf es nicht an sich heran lassen auf Unverständnis zu stoßen, denn es ist nur Ahnungslosigkeit.


Heute bin ich ein Vollprofi! Zwar sage ich noch immer dass ich eine Nadelphobie habe, aber ich brauche kein Emla Pflaster mehr, ich bin noch immer furchtbar nervös und rede unmöglichen Stuß dabei, aber ich lege mich hin und lasse es über mich ergehen, auch fluchend und schimpfend, aber das ist mein Weg damit umzugehen.

Ich habe mittlerweile aber nicht nur unendlich viele Spritzen bekommen und Zugänge, nein, ich habe Akupunktur Nadel im Kopf gehabt, weil ich Migräne mit Aura hatte und die Symptome nicht alle weg gingen und, Trommelwirbel, mein persönliches Highlight!!!! Ich ließ mir Nervenwasser aus der Wirbelsäule abnehmen und da hatte ich sehr, sehr, sehr, sehr viel Angst vor, denn man hört so Horrorgeschichten und ich hatte keine Sedierung, nur ein Beruhigungsmittel, bekam alles mit und durfte mich keinen Millimeter bewegen und ich habe es geschafft! Ich war stolz wie, ach ich kanns nicht beschreiben!

Meine Mama hatte auch eine Nadelphobie und ich dachte in dem Moment an sie und wie stolz sie wäre, hätte sie es erfahren und ja, ich habe heute noch Pipi in den Augen.

Einerseits bin ich so stolz auf mich und was ich hinter mir habe und dann werden aus den Freudentränen schnell Trauertränen, denn man musste diesen Weg gehen und es ist so unendlich traurig, weil man es musste.

Ich wäre gerne gesund. Ich war nie eine von denen, die ihre Gesundheit nicht schätzten, weil meine Mutter erkrankte als ich etwa 8 Jahre alt war und mit 12 Jahren erfuhr ich, dass ich es auch haben könnte und ab da lebte die Angst in mir, diese nagende permanente Angst, der Krebs könnte still und leise in mir wachsen und ich würde, wie meine Mutter, wie meine Oma und viele andere Verwandte einfach am scheiß Krebs sterben.

Ich war andauernd damit beschäftigt, mit dieser Angst zu leben, nicht in die Zukunft zu schauen und nur überall den Krebs wachsen zu hören und ja, ich ging dennoch nicht zur Vorsorge, aus Angst vor der Nadel im Arm.

Und heute?

Ich habe gerade meine letzte Vorsorge hinter mir. Kein Krebs :) Eine Entzündung im Pouch (Dünndarmsack der den Mastdarm ersetzt) und ein abheilendes Magengeschwür und muss einen geschwollenen Lymphknoten in der Brust checken lassen, aber das schaffe ich auch noch, so wie ich alles bisher schaffte, all das, was ich nie schaffen wollte, weil ich gerne gesund gewesen wäre.


Und am Schluß was lustiges, damit man nicht mit trüben Gedanken in die Welt geht.

Ich lese also dieses Buch (egal welches, ich werde davon noch berichten) und da muss eine Frau Untersuchungen über sich ergehen lassen.

Nur am Rande, ich habe einmal im Jahr ein MRT, hatte auch schon ein CT und dann lese ich, wie schrecklich und schlimm diese Untersuchungen sind, der reinste Horror! Auch höre ich das öfter von anderen, wie schlimm diese Untersuchungen sind.
Ernsthaft?
Ok, wenn man kleine, enge Räume nicht erträgt, kein Thema, verstehe ich, aber was immer wieder genannt wird, sind die Geräusche.
Die Geräusche?!?
Es hämmert, es klopft, mehr nicht. Ich meditiere dabei gerne, kein Scherz, es ist herrlich! Man hat Kopfhörer auf, manchmal Ohropax darunter und hört halt ein Rattern, lauter als wenn der Nachtbar bohrt, aber man weiss ja, dass es nur eine Maschine ist und einem nichts passieren kann.

Ich würde gerne allen die Angst nehmen, denn es ist wirklich, wirklich nicht schlimm, höchstens nervig, dass man sich nicht bewegen darf und meine Zehen zucken dann total gerne herum, auch wenn ich es nicht möchte, aber sie tun es. Zehen sind meist ok, wenn man kein Fuß MRT bekommt.

Stellt euch vor, es sei Techno Mucke ;) Nimmt es mit Humor!

So und im Buch bekommt sie dann auch eine Lumbalpunktion (Nervenwasser Entnahme) und da liege ich so in der Wanne und lese wie viel Angst sie hat und wie schlimm es für sie ist und denke mir: "Ja und das hatte ich trotz meiner Phobie! Und ich habs geschafft und weniger gememmt!!!"

Es geht, wenn man muss.
Der Ansporn muss nur groß genug sein.
Und wenn man denkt, dass man etwas nie schaffen wird, dann ist der Druck noch nicht groß genug, denn man wächst an seinen Anforderungen und wenn man keine Wahl hat, denn Aufgeben ist keine Option!

Man darf weinen, man darf schimpfen, man darf leiden, aber man schafft es, egal wie und egal mit welchem Vokabular und wie viel Angst, man kommt da durch, denn die Erde dreht sich immer weiter und weiter und weiter...





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