Freitag, 30. August 2024

Verstorbene Vogelfeder

 Sommer, Sonne, Sonnenschein, schön, dass Du da bist und Dir ein paar Minuten Zeit nimmst.

Mach es Dir bequem, gönne Dir einen schönen Mocktail, zum Beispiel eine Piña Colada oder einen Mojito und lass mal Deine Seele baumeln, wackle ein wenig mit den Füßen und hab eine schöne Zeit :)


Ich finde immer öfter Vogelfedern und nun muss ich mal von vorne beginnen.

Viele kennen ja den Schmu, dass wenn man eine Feder findet, dies ein Zeichen von einem Verstorbenen ist, der/die an einen denkt. Kenne ich schon ewig und habe ich nie weiter beachtet. Zwar fällt mir jedes Mal diese esoterische Geschichte ein, aber nie habe ich daran geglaubt.

Seit meine Schwester verstorben ist, passiert das noch öfter, also dass mir Federn begegnen und nein, ich achte nicht mehr als früher darauf. Vielleicht gibt es ja mehr Vögel. vielleicht haben die mehr Federausfall, vielleicht lebe ich in einem Gebiet, dass besonders kahle Vögel hat? Egal! 

Jedenfalls ist mir sogar eine Feder, wenige Tage nach dem Tod meiner Schwester, direkt durchs Fenster geflogen, direkt vor meine Nase. Das fand ich dann schon seltsam.

Nein, ich glaube noch immer nicht daran, dafür bin ich zu sehr Realistin, jedoch nehme ich es nun gerne als Einladung, um an meine Lieben zu denken, die verstorben sind. Einfach einen liebevollen Gedanken an sie schicken. 

Mit dem Tod umzugehen ist in jedem Fall schwer und da ich bei meiner Mutter damals erst 12 war und keinerlei Hilfestellung bekam, musste ich meinen eigenen Weg durch die Trauer finden. Schnell hatte ich begriffen, dass die Frage "Warum?" einem nichts gibt. Gar nichts. Sie macht nur trauriger und stellt den Verlust in den Fokus, was irgendwie Stillstand bedeutet. Ich habe radikal darauf geachtet, mir nicht mehr die Frage nach dem Warum zu stellen und immer wenn mir ein: "Warum passiert das mir?" in den Sinn kam, habe ich mit jugendlicher Wut geantwortet: "Weil das Leben scheiße zu mir ist!" und an was anderes gedacht. Dadurch fragte ich mich bald nicht mehr nach dem Warum und habe es akzeptiert.

Noch so eine bescheuerte Sache ist es, wenn man dauernd an "was wäre wenn..." denkt. 

"Was wäre, wenn xyz nicht gestorben wäre?"

"Was wäre, wenn mein Leben so und so verlaufen wäre?"

"Was wäre, wenn ich mich damals anders entschieden hätte?"

Was bringen diese Frage?

Können sie etwas verändern?

Bringen sie Dich im Leben weiter?

Machen sie irgendwas besser, außer dass Du Dir ausmalst, was besser gewesen wäre und Du betrauern kannst, in welcher Situation Du stattdessen bist?

Weg damit!

Ich habe mir also schon früh verboten, mir solche Fragen zu stellen. Es macht nur unglücklich und traurig.

Statt dessen lebte ich erst einmal in den Tag hinein und als ich älter war, begann ich langsam auch mal etwas zu planen, wobei nie weit in die Zukunft, das bringt eh nichts.

Damit fuhr und fahre ich gut.

Ich reagiere sogar allergisch auf Menschen, die sich dauernd diese Fragen stellen. Es ist oft wie ein Suhlen im Leid. Sie betreiben das ja aktiv im Kopf. Stellen sich Fragen, die nichts verändern können, malen sich aus, wie schön es sonst hätte sein können und stellen dann wieder fest, wie nun ihr Leben aussieht und sind traurig. Verstehe ich nicht.

Wenn man gezwungen ist, bereits wenn man jung ist, mit vielen Dingen klarkommen zu müssen, sucht man Strategien und ich denke, dass die mir später, zum Beispiel bei meiner Krankheit, sehr viel geholfen haben. Zwar denke ich mir oft, dass ich eigentlich nach dem Tod meiner Mutter zum Psychologen hätte müssen und Hilfestellungen gebraucht hätte, aber es ging auch so weiter und es hat mir gezeigt, dass ich alles schaffen kann, dass das Leben immer weitergeht, egal wie es einem selber geht und dass es irgendwie auch immer wieder besser werden kann, egal wie die derzeitige Lage aussieht.

Es ist eigentlich lustig, wenn es nicht so traurig wäre, denn vom Ursprung her war ich immer die in der Familie, die vor allem Angst hatte, die sich nichts getraut hat und immer schüchtern war.

Und nun?

Meine Krankheit hat mich stark gemacht. Ich weiß, ich kann alles schaffen. Ich weiß, ich habe die schlimmsten Sachen wahrscheinlich bereits hinter mir und egal was noch kommt, ich kann damit umgehen. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, aber dass es weiter geht. Dass man leidet, weint und schreit, dann aber seine Tränen wegwischt und schaut, wohin der Weg nun führt. Dass jedes Leid ein Ende hat und die Sonne wieder rauskommen kann. Dass das immer mit meinen Gedanken verknüpft ist, denn wenn es zum Beispiel regnet, dann regnet es auch, wenn ich weine, oder wenn ich lache, also kann ich lachen und tanzen im Regen und vielleicht zeigt sich sogar ein Regenbogen, denn dafür braucht man auch den Regen.

Ich habe viel leiden müssen. Ich habe viel durchgemacht und ich bin sehr stolz darauf, welcher Mensch ich heute bin.

Vor meiner Krankheit habe ich mir nicht Blut abnehmen lassen, wäre lieber verblutet, als dass ich mich hätte pieksen lassen und meine letzte Impfung hatte ich, als ich mini klein war und mich nicht wehren konnte. FAP war für mich die größte Horrorvorstellung. Ich hatte immer gedacht, da ich nicht zur Vorsorge gehe, werde ich eh an Krebs sterben und quasi nur darauf gewartet. 

Und dann wuchs ich über mich hinaus. Habe gelernt, wie ich besser mit dem Thema Krankenhaus umgehen kann. Weiß was ich brauche und was mir gut tut. Und pieksen? Egal. Ich habe alle Impfungen nachgeholt, spritze mir monatlich selber mit einem Pen ins Bein und als ich kürzlich ins Krankenhaus musste, als Notfall und einen Zugang gelegt bekam, hatte ich nicht einmal mehr ein Emla Pflaster (Betäubungspflaster) dabei und es ging auch so. Ich bevorzuge Emla Pflaster für Zugänge, aber es geht auch ohne. Früher war das für mich ein Nervenzusammenbruch. 

Und ja, ich gehe jährlich zu meiner Vorsorgeuntersuchung, mache eine Magen- Darmspiegelung und ein MRT, mache Schilddrüsenuntersuchungen und für alles brauche ich einen Zugang und das ist ok. 

Ich habe noch immer viele Polypen im Dünndarm und noch mehr im Magen und klar macht mir das Sorgen, aber mehr kann ich nicht tun und darauf vertraue ich. Dass, wenn es etwas gibt, es früh genug gefunden wird und wenn ich dann wieder eine Feder sehe, denke ich an meine Mama, an meine Schwester, die sich beide leider nicht getraut hatten zur Vorsorge zu gehen und am scheiß Krebs gestorben sind und frage ins Nichts hinein: "Seit ihr stolz auf mich? Denn ich bin es sehr und ich bin mir sicher, dass ihr es seid."

Meine Mama wurde 40. Meine Schwester war gerade noch 48 Jahre alt und Monate vorher, hatte ich ihr erzählt, dass ich ausgerechnet hatte wie alt Mama genau wurde und dass ich ausgerechnet hatte, wann ich einen Tag älter als sie werde und dass ich den Tag nun jedes Jahr feiern werde und sie sagte, dass sie das auch gemacht hat und auch immer feiert.

Ich werde dieses Jahr 43. Ich feier noch immer diesen Tag und in ein paar Jahren werde ich einen zweiten dazu nehmen, kurz vor meinem 48. Geburtstag. Ich feier nicht den Tod, ich feier das Leben.

Ich sehe Federn nicht als Gruß aus dem Jenseits, ich sehe sie als Erinnerung daran, dass man dankbar sein soll, dass man leben darf. 

Ich sehe nicht, dass meine Mama und meine Schwester ihren Tod vermeiden hätten können, ich sehe das Glück, dass ich einen anderen Weg gehe und hoffentlich die Möglichkeit dadurch habe, älter als sie zu werden.

Ich war das Nesthäkchen und wurde immer so behandelt und nun bin ich die Überlebende und Kämpferin. Ich bin stark und mutig und weiß, dass es weiter geht. Es geht immer weiter. Egal wie.

Ich verstehe die Angst, so dass man nicht zur Vorsorge geht und bin dankbar, dass ich sie überwunden habe. Ich sehe Andere nicht als schwach an, wenn sie es nicht können, sondern es macht mich einfach nur traurig. Ich möchte sie gerne an die Hand nehmen und sagen, dass wir das gemeinsam schaffen, weiß aber, dass das nichts bringt, wenn sie sich nicht selber stark genug fühlen.

Ich helfe gerne, weiß aber, dass nicht jeder Hilfe bekommen möchte und habe gelernt, das zu akzeptieren.

Ich habe viel gelernt.

Ich lerne noch immer dazu.

Ich werde auch immer weiter lernen und viele Dinge später anders sehen können.

Zuversicht, das ist es. Ich habe Zuversicht erlangt und schaue positiv in die Zukunft, nicht trotz meiner Vergangenheit, sondern wegen meiner Vergangenheit und ich spüre meine Lieben an meiner Seite, wann immer ich an sie denke. 

Ich vermisse euch.